Donnerstag, 1. Juli 2021

Basteln mit Kriegsverbrechern, literarische Jugendsünden, im Fegefeuer mit Clown Enrico und traumatisiert durch den Jungen aus Flandern: Das war unsere Kindheit, die kann jetzt weg.

Die OLW-Nachlese zum Saisonstart im Kultur Hof: "Kindheit - ist das Kunst oder kann das weg?" Mit Gästin Nadja Bucher.

Man kann freilich schon von einer energetischen Verwurschtelung sprechen, die Saison exakt dann zu starten, wenn sie traditionell eigentlich endet und in das Liegen in der sozialen Hängematte münden soll, das so lange dauert, dass sich die Mattenschnüre so in unsere Hintern graben, dass es schon bissi wehtut. Andererseits sind wir ja quasi erholt, es fühlt sich nur nicht so an. Hier endet das Proömium. 

Oben zu betrachten ist unser Professor Buttinger, der die 34 Phasen der Kindheit beleuchtete, von der pränatalen bis zur letalen. Gründlich! Profund! So verdient man sich den Bolognapunkt ganz easy mit Lauschen. Auch erzählte der Buttinger von seiner Kindheit hinterm Krieg, als es noch keine Demokratie gab, nur ÖVP. Und keine Betäubung beim Zahnarzt, und SS-Sturmscharführer beim Kinder-TV-Basteln. Arg! Bitte übrigens nicht an Herbert Grönemayer verschergen, dass wir seine "Kinder an die Macht" exakt umgekehrt empfehlen, siehe die aktuelle Bundesregierung, die ja auch unseres Erachtens etwas zu jung ist. We don't need no old education, all we need is a Bildungsreform, sunst lebn ma boid im Woid!

 
 
Oben und unten sind warenförmige Materialassemblagen zu "bestaunen", Ersteres die stark angeschwollene "Tombola des Grauens" samt 3-D-Fernseher ohne Strom und zahllosen Statuetten aus dem Bestand von Bundespräsidentin Meindl. 
Gleitet das geneigte Auge leicht nach unten, erfasst es den "Merch", wie es in der "Szene" heißt, also die Produktpalette, der ihre Metamorphose hin zum Tombolagut noch bevorsteht. "Die Doderer-Gasse" unserer lieben Gästin kann locker noch auf 27 schöne Jahre im Produktzustand erwarten.

Auch in Chefingenieur René Monet hat sich Gedankenstau gebildet, den er sehr gelehrig in Tombolatexte kanalisierte. Da wäre etwa der Schulversuchsbericht zu nennen, in denen Menschen mit regierungsähnlichen Namen über Klassenkasperl und Streber unter den Impfstoffen konferierten: Der chinesische Austauschschüler Sinowatz kriegt gar nichts geregelt. 

Sehr betroffen war das Publikum nach Enthüllung seiner germanistischen Entdeckung über die Jugendsünden unserer klügsten und besten AutorInnen: Jandl hat gestottert, Handke dauernd beim Fußball versagt, Artmann war ganz besessen vom Kaschperltheater, Bachmann hat ihren eigenen Preis nie gewonnen, dafür aber die recht dämliche Serie mit Al Bundy geghostwritet. Stefan Zweig war ein notorischer Schummler beim Schach und Wolf Haas hat immer noch Betretungsverbot beim Gendarmerieposten Maria Saal, weil er als junger Strolch andauernd hineinrannte und "Jetzt ist schon wieder was passiert!" rapportierte (Fake News).


Jetzt aber endlich zu jenem Menschen, der dem geliebten Publikum an jenem Abend am "seltsamsten" war, wie der Mühlviertler so schön den Abwechslungsreichtum benennt. Unsere wertgeschätzte Gästin der Herzen, Nadja Bucher! Sie las wie bestellt und gewünscht aus ihrem jüngsten Werk, "Die Doderer-Gasse", die es hier im Falter von der Präsidentin herrezensiert und zu erwerben gibt. Der Großdichter reinkarniert als sehr bizarrer Dämon im Leib einer Neugeborenen. Das Matriarchat befindet, dass es eh keine Strafe sei, das Leben einer Frau erfahren zu dürfen. In Zukunft zumindest. Eine weitere extrem tragende Rolle übernahm Madame Bucher beim Verlesen des Sozialdramas "Du bist Familie Petz", in dem sie der recht neoliberalen, unangenehmen Ratte Fips ihre angenehme Stimme gab.

Die Frau Präsidentin Meindl schließlich enthüllte das Geheimnis ihrer unregulierten Zähne ("Mit einem Vampirgebiss vom Spielwaren Beyerl geht's nicht"), gewann per "demokratischem" Applaus-Battle den Wettkampf um die schlimmste Kindheit (s. Vampirgebiss und Wochentagsunterhoserl) und referierte über den Kollateralnutzen extrem traumatisierender Kinderserien in den frühen 1980ern: Niklas erfriert jämmerlich in der Kathedrale, Perrine ist eine obdachlose Minderjährige, aber dafür ist die Generation X stoisch angesichts präpotenter Boomer und woken Schneeflocki-Millennials. Sie kündigte an, es ihrem "Kollegen" Brezina gleichzutun und Kafka in Reime zu bändigen: "Am Morgen aus dem Schlaf erwacht, der Gregor in die Hose kracht: Ich scheiß mich an, ich bin ein Käfermann!" Dann schändete sie Nirvana und wurde vom Tontechniker wegen Verwüstung der Anlage getadelt, aber so ist das halt im Grunge.


Im abschließenden Sozialdrama kommt es zu angewandter Umverteilung zwischen den Generationen (Petzi flaucht Hilde Petzens Haushaltskassa und vertuscht alles im Zuckerlgeschäft mit der Ratte Fips). Die Jury des "Not so new Comer"-Stückewettbewerbs des BmUKK sah trotz der literarischen Leuchttumrqualität des Oeuvres keine Möglichkeit, das kritische Werk, das den Finger an die an der Zeit nagenden Zähne legt, zu berücksichtigen. 

Und sonst noch? Der Chefingenieur erfindet die ewige Jugend, die aber nicht lange hält und immer wieder in einer schiachen Pubertät endet - so weit behauptet es das Tagebuch. 

Jetzt aber ist wirklich genug berichtet worden, gleich haben wir ja Sommerferien und wollen raus zum Völkerball! 

Am 23. Juli kommt's uns wieder alle her, diesmal ins Strandgut an der Donau, denn dann beweisen wir euch gemeinsam mit Martin Amanshauser, dass der Kapitalismus eine Sau ist.

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