Niemand weiß, warum wir unsere Lesebühnen immer wieder und ausgerechnet am Urfix-Freitag ansetzen. Es ist ja nicht unbedingt ein Vorteil, wenn man sich auf dem Weg zu uns durch besoffene Massen schieben muss, und wenn sich während der Lesebühne besoffene Massen auf dem Weg zum Klo an uns vorbeischieben. Irgendetwas zieht uns unbewusst zum Jahrmarkt. Oder ist es einfach ANDAUERND Jahrmarkt in Linz.
Umso schöner, wenn es dann doch sehr schön wird. Weil so war's!
Präsidentin Meindl litt ein mit einer Rilke-Schändung über einen armen Tagata-Betreiber. "Sein Ohr ist vom Kreischen der Teenies so taub geworden, dass es nichts mehr hält / Ihm ist, als ob es tausend Teenies gäbe / und hinter tausend Teenies keine Welt." Später verlas sie die "Göttliche Komödie von Urfahr", in der Robert Musil eine sündige Kurz-Wählerin durch die neun Kreise des Jahrmarkts-Infernos führt. In einem der ganz inneren büßt Herbert Kickl als Pony-Karrussell-Pony unter dicken Kindern.
Als Gast beehrte uns Michael Burgholzer, der uns ein entzückendes Bewerbungsschreiben geschickt hatte, in dem er (zu Recht!) damit prahlte, im süßen Alter von 16 von LH Ratzenböck einen Jugend-Lyrikpreis überreicht bekommen zu haben; der Fussenegger hat's gar nicht gefallen. Top! Vielversprechend - und gehalten! Der Burgholzer schrieb extra für den Abend eine Geschichte, in der seine Karriere als 100.000. Gast beim Urfix beginnt und udaungs an der Spitze der Weltherrschaft endet. Bestes Detail: die Speibsackerl des amtierenden LH im Landesarchiv. Zweitbestes Detail: die "unstillbare Männerliebe" im zweiten Text und der Titel des dritten ("Krautschicht").
Unstillbare Liebe ruft nach wie vor die Tombola des Grauens hervor. Vielleicht ist es gar nicht Liebe, aber jedenfalls ein starkes Gefühl. Und ihr wisst ja, wie das bei den Gefühlen ist. Hauptsache stark. Bestes Detail: die Biblische Geschichte neben "Alles echt!" von Dolly Buster. Der offenbarte Wahrheitsanspruch eint die beiden Werke.
Ingenieur Monet entrückte das Publikum nicht nur durch drei(!) famose Songs und eine Qualtinger-Hommage, sondern durch drei todesverachtende Stunts - untabgebildet isst er Glühbirnen! Na?! Ist das was?! Und nein, es sind keine LED-Birndln, was die Einlage noch verschwenderischer und ärger macht. Literatur muss wehtun. Nachdem Monet die Scherben mittels Schlägl-Kristall in seinen Magen gespült hat, spuckt er auch noch meterhohe Flammen in den feuerpolizeilich bestimmt anders gewidmeten Raum.
Das Publikum ist entrückt, niemand hat einen Blick für das sinnlos bunte Treiben 50 Meter weiter links. Oder für die große Spinne, die sich einen Meter weiter vorn auf Augenhöhe abseilt. Oder den Mann auf zwei Beinprothesen, der 10 Meter weiter links ins Gebüsch ludelt. Wir haben das beste Publikum Mitteleuropas, aber wir geben nicht damit an.
Tagata, Spinnen, Urinierer, Teenie-Schreie lenkten auch Open-Mic-Gast Klaus nicht vom Vorlesen ab:
Prof. Buttinger übernahm zum einen erneut die geistes- und naturwissenschaftliche Einführung ins Thema ("Salzgurke, Riesenrad und Knoblauchlangos - die Phänomenologie des Ereignisses"). Weiters überzeugte er im Text "Jungsaubauer" durch seine stupende Kompetenz in Sachen Landwirtschaftsmesse und Ochsenpräsentation. Als Gesangsverantwortlicher der "Blutgruppe" lud Buttinger schließlich gewaltige Meriten auf seine Schultern.
Leuchtende Augen gab es im großen Finale beim ersten Linzer-Literatur-Feuerwerk. Das Ausmaß des Ereignisses entspricht exakt der Förderungswertschätzung unser törichten Gegenwart. Tschibumm!
Die nächste Lesebühne wartet am 23. November auf uns alle - weil wir in der Linzer "Schule des Ungehorsams" gastieren, kann unser Thema selbstverständlich nur "Gutes Benehmen wird nie unmodern" lauten. Zu Gast ist die junge Superkraft Sarah Anna Fernbach.
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